„A Day At The Races“ von Queen: Sentimentales Spiegelkabinett ... jetzt weiterlesen auf Rolling Stone (2024)

Es waren die Jahre als Punk explodierte – doch was ging schon Queen an, wie sich die Musikwelt von ein paar Straßenmusikern erschüttern ließ.

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Die britische Band hatte nach drei ambitionierten Platten mit Glam und Heavy Rock gerade mit „A Night At The Opera“ (1975) endgültig ihren Stil gefunden. Der definierte sich weniger durch einen süffigen Klangkosmos (obwohl die Melodien herrlich perlten und zum ersten Mal seit dem selbstbetitelten Debüt beim besten Willen keine Fransen mehr zu finden waren) als vielmehr durch ausgiebige Studioexperimente. Das durfte dann auch einmal richtig viel Geld kosten: „Bohemian Rhapsody“ wurde bequem in drei Wochen eingespielt. So viel Zeit im Studio verbringen heute die meisten Gruppen, um einen vollständigen Longplayer aufzunehmen.

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Queen blieb nach dem röhrenden Erfolg von „A Night At The Opera“ eigentlich kaum etwas anderes übrig, als die frisch gewonnenen Stärken auszubauen und einfach an ein paar Stellschrauben zu drehen, um die Kassen wieder sprudeln zu lassen. Doch „A Day At The Races“, dessen Titel wie auch schon der Vorgänger an einen Filmtitel der Marx-Brothers erinnert, macht es sich alles andere als bequem und lässt sich nicht so leicht festlegen. „Ich lebe für das Morgen. Scheiß auf das, was heute ist, mich interessiert nur die Zukunft“, raunte Freddie Mercury damals in die Radiomikrophone.

Im Studio prallten die Egos aufeinander

Zum ersten Mal in ihrer Karriere nahmen Queen die Regie selbst in die Hand und ließen Produzent Roy Thomas Baker bei den Sessions außen vor. Stattdessen gab Tontechniker Mike Stone den Schiedsrichter. Im Studio ging es dann allerdings recht hitzig zu; die Ideen brodelten, die Egos prallten – wie das bei der Band nun einmal immer schon so war – aufeinander. Vielleicht war die musikalische Coda, die sich Queen mit „A Night At The Opera“ erarbeitet hatten, doch nicht so dehnbar, wie es sich die Musiker – längst aufgestiegen in den Kreis der Rock-Götter, die sie zuvor noch bewundert hatten – vorstellten. Die traumwandlerische Sicherheit schien auf jeden Fall erst einmal verloren.

Nach einem dräuenden Gitarren-Intro, das der diplomierte Astrophysiker May natürlich als Endlosschleife arrangierte, übernimmt das reizvoll stupide „Tie Your Mother Down“ das Zepter und wirft die Mutter gleich im ersten Stück auf „A Day At The Races“ aus dem Zug. Eine kleine, unbedarfte Rebellionshymne, vielleicht noch am ehesten als Anknüpfpunkt mit den Punk-Gewittern dieser Jahre zu verstehen. Doch der Ton bleibt nicht gereizt, sondern wird plötzlich ganz brüchig: „You Take My Breath Away“ lässt das einsamste Klavier der Welt erklingen. Mercurys Ballade ist ein herzzerreißender Bastard aus „Love Of My Life“ und „Nevermore“, so unentschieden und größenwahnsinnig wie die Liebe selbst. Ein einziger Seufzer, der schließlich von einem melodramatischen Schlussakt geschluckt wird.

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Natürlich waren Queen längst zu Millionären aufgestiegen, was sie zugleich protzig in „The Millionaire Waltz“ veralberten. Hübsche Pointe: Die Band wurde angeblich von Manager John Reid zu dem Lied inspiriert. Nur 18 Monate nach den Aufnahmen trennte man sich guten Gewissens. Ein Umstand, der vor allem Reid steinreich machte. Er bekam ein ordentliches Sümmchen überwiesen plus lebenslange 15 Prozent Tantiemen. Queen waren eben immer schon Meister einer überlebensgroßen Ironie, die aus ihren Songs verschwenderisch beiläufig hinaus tropfte.

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„Somebody To Love“ – Queens Meisterwerk?

Während „You And I“ die sentimentale Melodien lieferte, die man von der Band hören wollte und „White Man“ einmal mehr Queens Verehrung für Led Zepplin hörbar machte, dürfte „Somebody To Love“ das unsterbliche Highlight der Platte bleiben. Die formvollendete, swingende Gospel-Phantasterei, die Aretha Franklin als Vorbild nicht verhehlen kann, erinnert noch am ehesten an die Grandezza von „Bohemian Rhapsody“; Freddie Mercury bezeichnete seinen Song mehrmals als das Größte, das er jemals geschrieben hat. Verständlich, denn das übermütige Studiowunderwerk, das einen 100-Frau starken Chor imitiert, erwies sich vor allem als geniale Wunderwaffe bei Live-Auftritten, wo es all die Energie und wohl auch den Soul der Band perfekt aufs Publikum übertragen konnte.

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Spätestens mit dem Einsatz von „Somebody To Love“ scheint klar, dass „A Day At The Races“ ein wunderbar gewitztes Spiegelkabinett ist, eine etwas weniger nachdenkliche Reprise von „A Night At The Opera“, ein Potenzieren der Rührseligkeiten, ein Abschleifen der eigenen Songwriting-Stärken und vor allem eine kokette Selbstreflexion. Für alle Zeiten, so scheint es dieses Album selbstbewusst ausdrücken zu wollen, wird Queen drin sein, wo Queen draufsteht. Ewig wollte das Prinzip nicht funktionieren, aber die Band konnte ja nicht ahnen, dass die 80er-Jahre irgendwann über sie hereinbrechen würden.

Gewollt kunstfertig

Nummern wie das brave, flanierende „Good Old-Fashioned Lover Boy“ und das von Roger Taylor geschriebene, hypnotisch-hibbelige „Drowse“ boten dann auch solides Queen-Handwerk, ohne über die Strenge zu schlagen. „Teo Torriate“ (Let Us Cling Together) verstört oder verzückt (je nach Standpunkt) schließlich als Liebeserklärung an die zahlreichen Fans in Japan und hält den technisch gekonnten, aber nicht immer geschmackssicheren Spagat zwischen kummervollem Gesang und geschmeidigen Melodien. Brian May machte für das Lied Gebrauch von der japanischen fünfstufigen Tonleiter.

„A Day At The Races“ ist vieles: selbstsicher, gewollt, kunstfertig, maßlos, ruppig, zärtlich, überschwänglich, klugscheißerisch, ruhelos, hin und wieder sogar ausgesprochen düster. Es ist aber dennoch nicht so durchdacht und aufregend wie die beiden Vorgänger „Sheer Heart Attack“ und „A Night At The Opera“. Queen hatten ihren künstlerischen Zenit erreicht – und wurden danach nur noch erfolgreicher.

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